Handel / Politik
17. Dezember 2023

Fachkräftebedarf steigt im Espace Mittelland im Regionenvergleich am stärksten

Nachdem der Fachkräftemangel in der Schweiz bereits 2022 einen Höchststand erreichte, zeigen sich auch im Jahr 2023 wenig Anzeichen von Entspannung. Trotz einer abnehmenden Wachstumsdynamik aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Abschwächung ist der Fachkräftemangel in der Schweiz um 24% gestiegen und erreicht somit einen neuen Rekordwert. Im Regionenvergleich verzeichnet das Espace Mittelland mit einem Anstieg von +36% den stärksten Indexanstieg unter den Grossregionen.
Der Fachkräftemangel sorgt für vermehrte Überlastung. (Bild: Pixabay)

Nachdem der Fachkräftemangel-Index bereits im Jahr 2022 aufgrund der wirtschaftlichen Erholung nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen stark angestiegen ist, verschärft sich die Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften im Jahr 2023 weiter. Trotz aktueller wirtschaftlicher Herausforderungen, die von Inflation über die Stärke des Schweizer Frankens bis hin zu einer sich abschwächenden Weltwirtschaft und wachsenden globalen Unsicherheiten reichen, macht sich noch keine Entspannung des Fachkräftemangels sichtbar. 

Zwar sinkt die Wachstumsrate des Fachkräftemangel Index‘ aufgrund der schwächeren Konjunktur - betrug der Zuwachs im Jahr 2022 satte 69%, entspricht der Zuwachs im Jahr 2023 lediglich 24%. Trotzdem erreicht der Index einen neuen Höchstwert. Diese Entwicklung ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen verringerte sich die Anzahl der Stellensuchenden deutlich, wodurch die Arbeitslosenquote im Jahr 2023 einen Tiefstand von 2% erreicht. Zum anderen stieg die Anzahl der offenen Stellen gegenüber dem Vorjahr um 7% an. Primärer Antrieb dieser Entwicklung scheint der Binnensektor zu sein. Während exportorientierte Wirtschaftszweige mit der sinkenden globalen Nachfrage ringen, konnten binnenmarktorientierte Sektoren, wie zum Beispiel das Gastgewerbe, sich grösstenteils auf eine robuste inländische Nachfrage stützen. Dies erklärt auch, warum binnenorientierte Branchen trotz der Konjunkturabkühlung weiterhin einen Stellenaufbau planen.

«Der derzeitig überhitzte Arbeitsmarkt resultiert hauptsächlich aus der starken wirtschaftlichen Erholung, die nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen einsetzte und die Fachkräftenachfrage deutlich antrieb. Obwohl die gedämpften Konjunkturaussichten für das kommende Jahr und die sichtbar abnehmende Dynamik des Fachkräftemangel Index‘ kurz- bis mittelfristig eine aufkommende Entspannungsphase vermuten lassen, wird der Fachkräftemangel die Unternehmen in der Schweiz langfristig weiterhin beschäftigen. Einflussfaktoren wie die alternde Bevölkerung, die fortschreitende Digitalisierung und der Übergang zu einer Green Economy werden diese Entwicklung auch in Zukunft weiter antreiben.» Marcel Keller, Country President Adecco Gruppe Schweiz 

Fachkräfte in Gesundheits- und technischen Berufen fehlen 

Wie bereits im Vorjahr weisen folgende Berufsgruppen den akutesten Fachkräftemangel auf: Spezialist:innen in den Gesundheitsberufen (bspw. diplomierte Krankenpfleger:innen, Endokrinolog:innen oder Apotheker:innen), Entwickler:innen und Analytiker:innen von Software und IT-Anwendungen (bspw. SAP-Berater:innen, Softwareingenieur:innen oder ICT-Qualitätsmanager:innen) sowie ingenieurtechnische und vergleichbare Fachkräfte (bspw. Maschinentechniker:innen, Heizungsplaner:innen oder Mikrosystemtechniker:innen). Während sich der Mangel an qualifizierten Fachkräften für die Spezialist:innen in den Gesundheitsberufen und den ingenieurtechnische und vergleichbare Fachkräfte im Vergleich zum Vorjahr weiter verschärft, entspannt sich die Lage bei den Entwickler:innen und Analytiker:innen von Software und IT-Anwendungen deutlich. 

«Die Turbulenzen in der Informatik-Branche haben deutliche Spuren auf dem Stellenmarkt für Entwickler:innen und Analytiker:innen von Software und IT-Anwendungen hinterlassen. Nicht nur die Zahl der offenen Stellen ist deutlich zurückgegangen, sondern auch die Zahl der Arbeitssuchenden hat stark zugenommen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Arbeitslosenzahlen der Informatik-Branche wider. Im September 2023 wuchs die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahresmonat um beeindruckende 44,8%Dadurch hat sich der Fachkräftemangel für diese Berufsgruppe im Vergleich zum Vorjahr deutlich entspannt.» 
Yanik Kipfer, Stellenmarkt-Monitor Schweiz der Universität Zürich 

Vor allem Technische Berufe sind stark in den Top 10 des Fachkräftemangel Rankings vertreten. Dies spiegelt die Ausrichtung der Schweizer Industrie wider, die sich auf die Produktion komplexer, technisch anspruchsvoller Nischenprodukte mit hoher Wertschöpfung spezialisiert hat. Die jüngste Quartalsbefragung des Branchenverbands Swissmechanic unterstreicht diesen Trend. Im dritten Quartal identifizierten KMUs der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche den Mangel an technischem Personal als eine ihrer grössten Herausforderungen. 

Der Mangel an Fachkräften in technischen Berufen beschränkt sich nicht nur auf Berufsgruppen, die eine Tertiärausbildung, wie ein Universitätsstudium, einen Fachhochschulabschluss oder eine Ausbildung an einer Höheren Fachschule, erfordern. Er erstreckt sich auch auf Berufsgruppen, in denen vorrangig eine Berufslehre erforderlich ist. Neben den ingenieurtechnischen und vergleichbaren Fachkräften weisen auch die Elektriker:innen und Elektroniker:innen sowie die Polymechaniker:innen, Produktionsmechaniker:innen, Maschinenmechaniker:innen und -schlosser:innen einen akuten Fachkräftemangel auf. 

Fachkräftemangel geht zunehmend in allgemeinen Arbeitskräftemangel über 

Berufsgruppen am unteren Spektrum des Rankings zeigen vorwiegend ein Überangebot an Fachkräften. Hier gibt es mehr Bewerber:innen als offene Stellen. An letzter Stelle stehen die Hilfsarbeitskräfte, zu denen beispielsweise Fensterreiniger:innen, Strassenmarkierer:innen und Möbelpacker:innen zählen. Ihnen folgen die Führungskräfte und dann Allgemeinen Büro- und Sekretariatskräfte und sonstige Bürokräfte, unter denen Berufe wie Sachbearbeiter:innen, Personalsachbearbeiter:innen und Korrekturleser:innen fallen. 

In diesem Jahr stechen insbesondere die divergierenden Entwicklungen zwischen den Berufsgruppen hervor: Während sich das Überangebot an Fachkräften bei den Berufsgruppen in der unteren Hälfte des Rankings merklich reduziert, bleibt der Mangel an Fachkräften in der oberen Hälfte weitestgehend stabil. Das bedeutet, dass der Fachkräftemangel mehr und mehr in einen generellen Arbeitskräftemangel übergeht. So hat sich selbst bei den Berufsgruppen mit geringeren Qualifikationsanforderungen, wie etwa Hilfsarbeitskräfte, das Fachkräfteüberangebot stark reduziert. Damit wird auch die Rekrutierung dieser Arbeitskräfte für die Unternehmen immer schwieriger. 

«Was wir heute auf dem Schweizer Arbeitsmarkt erleben, ist ein eigentlicher Arbeitskräftemangel und kein Fachkräftemangel mehr. Auch in Berufsgruppen, in denen kein akuter Fachkräftemangel herrscht, wird es immer schwieriger, neue Mitarbeitende zu rekrutieren. In der Gastronomie beispielsweise wird der Wettbewerb um gelernte Köch:innen oder ausgebildete Servicekräfte immer härter. Um Arbeits- und Fachkräfte zu finden, müssen Unternehmen innovativ werden und sowohl den internen Arbeitsmarkt besser nutzen als auch ausländische Arbeitskräfte in Betracht ziehen. Das Potenzial des internen Arbeitsmarktes kann beispielsweise durch Investitionen in die Aus-, Um- und Weiterbildung, den Einsatz von Quereinsteiger:innen, die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen oder den gezielten Einsatz von temporären Mitarbeitenden zum Aufbau von internem Know-how besser ausgeschöpft werden.» 
Martin Meyer, Leiter Adecco Deutschschweiz 

Espace Mittelland: Fachkräftemangel steigt in dieser Region am stärksten 

Der Fachkräftemangel im Espace Mittelland (Kantone BE, SO, FR, JU, NE) hat sich nach einem Rekordwachstum im vergangenen Jahr auch in diesem Jahr weiter verschärft und verzeichnet aktuell einen Anstieg von +36%. 

Wie auch auf nationaler Ebene, sind im Espace Mittelland besonders die Berufsgruppe der Spezialist:innen in Gesundheitsberufen vom Fachkräftemangel betroffen. Die sinkende Zahl der Stellensuchenden in Kombination mit der steigenden Zahl an Vakanzen hat in diesem Jahr zu einer weiteren Verschärfung der Mangelsituation in dieser Berufsgruppe geführt. 

Bei den Entwickler:innen und Analytiker:innen von Software und IT-Anwendungen, welche auf Platz zwei liegen, zeigt sich ein leicht entspannteres Bild. Hier ist der Fachkräftemangel leicht zurückgegangen, was hauptsächlich auf einen Rückgang der offenen Stellen zurückzuführen ist. Dennoch bleibt diese Berufsgruppe auf dem zweiten Platz im Ranking der Fachkräftemangelberufe. 

Neu rücken Bauführer:innen, Polier:innen und Produktionsleiter:innen zu den Top 3 Berufsgruppen auf, die deutlich vom Fachkräftemangel betroffen sind. In dieser Berufsgruppe ist die Zahl der Arbeitssuchenden im Vergleich zum Vorjahr gesunken, während die Zahl der offenen Stellen markant gestiegen ist. Dies hat zu einem spürbaren Anstieg des Fachkräftemangels geführt und diese Berufsgruppe vom fünften auf den dritten Platz im Ranking des Fachkräftemangels gehoben. 

«Derzeit besteht eine hohe Nachfrage nach Bauleiter:innen, die eine Ausbildung als Zeichner:innen absolviert haben und vertiefte Fachkenntnisse im Hoch- oder Tiefbau vorweisen können. Ebenso sind Fachkräfte in den Bereichen Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik sehr gefragt.» 
Sascha Matter, Area Director bei Adecco Schweiz

pd/rr
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